Mit den psychischen Auswirkungen einer Tumorerkrankung und ihrer Behandlung geht jeder Betroffene anders um, weil die Fähigkeit, schwere Schicksalsschläge und ihren Folgen zu verkraften, unterschiedlich ausgeprägt ist. Man nennt sie auch Resilienz. Diesen wichtigen Ansatz der Hilfe zur Selbsthilfe in der Psychoonkologie erklärt Diplompsychologin Angelika von Aufseß vom AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg.

„Was fehlt Ihnen denn?“ So beginnen viele Gespräche mit Ärzten oder Therapeuten, denn wenn die Gesundheitsexperten, die Ursache kennen, können sie helfen, heilen oder wenigstens trösten. Das Leiden zu kennen, ist sicher eine wichtige Information, aber es ist nur eine Seite der Medaille: Sie befasst sich mit dem Schaden, dem Defizit.

Wurden Sie schon einmal gefragt: „Was läuft trotz der Erkrankung gut in Ihrem Leben? Worauf können Sie sich verlassen? Wo liegen Ihre Kraftquellen? Was machen Sie richtig?“ Das ist nämlich die andere Seite: die Habenseite. Die oft vernachlässigte Frage nach den eigenen Stärken und dem eigenen Kraftpotenzial.

In der Psychologie gibt es diesen Ansatz seit einigen Jahrzehnten, und er gewinnt mehr und mehr an Bedeutung. Forscher und Therapeuten arbeiten daran, das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft zu entschlüsseln. Es geht nicht mehr um die Frage nach dem, was fehlt, was falsch läuft, welche Defizite vorliegen. Sondern um die Frage: Wie kommt es, dass manche Menschen mit Krisen und Belastungen besser umgehen können als andere? Was macht Menschen widerstandsfähig? Und natürlich die zentrale Frage: Wie kann man das lernen?

Schon in den 50er Jahren gingen Forscher in einer Langzeitstudie der Frage nach, weshalb vernachlässigte und misshandelte Kinder aus kaputten Familien, deren Eltern psychisch krank, alkoholabhängig, zerstritten waren, weshalb ein Drittel dieser beforschten Kinder diese Last abschütteln konnte. Wie war es möglich, dass diese Kinder unter so belastenden Startbedingungen als Erwachsene ein stabiles und glückliches Leben führen konnten?

Aus den Anfängen in den 50er Jahren entwickelte sich die Positive Psychologie und zog zahlreiche Ansätze für die therapeutische Arbeit nach sich. Insbesondere die Stressforschung und die Arbeit mit traumatisierten Menschen profitiert von diesem Ansatz.

Auch in unserer Arbeit mit den Rehabilitanden im AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg, der Psychoonkologie, nehmen die Fragen nach den Ressourcen und dem persönlichen Potenzial großen Raum ein. Wir sprechen hier von Resilienz: „Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen.“ So hat es die Psychotherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin formuliert.

Kein Mensch ist unverwundbar oder immun gegenüber dem Schicksal, aber die Antwort auf das Schicksal fällt unterschiedlich aus. „Im Leben kommt es nicht darauf an, ein gutes Blatt in der Hand zu haben, sondern mit schlechten Karten gut zu spielen“, sagte der schottische Schriftstellers Robert Louis Stevenson (1850-1894) und hat damals bereits das Wesen der Resilienz beschrieben.

Eine Krebserkrankung ist für die meisten Menschen ein Schicksalsschlag, den es zu bewältigen gilt, ein Sturz aus der Wirklichkeit, eine tiefe Erschütterung, häufig eine Art traumatischer Erfahrung. Die psychischen Widerstandskräfte sind jetzt gefragt. Wie kann ich lernen, mit einem schlechten Blatt, gut zu spielen? Was unterstützt meine Resilienz, also meine Fähigkeit, diese neuen Herausforderungen gut zu meistern?

Resilienz in der Psychoonkologie

„Ich HABE, ich BIN, ich KANN“ – so fasst die schottische Professorin für Sozialarbeit Brigid Daniel die Grundsteine der Resilienzforschung zusammen: „Ich HABE Menschen, die mich gern haben und mir helfen. Ich BIN eine liebenswerte Person und bin respektvoll mir und anderen gegenüber. Ich KANN Wege finden, Probleme zu lösen und mich selbst zu steuern.“

Das hört sich einfach an und ist in der Anwendung höchste Lebenskunst. Gerade in tiefen Krisen gehen diese Erfahrungen von Haben, Sein und Können verloren. Sie weichen einem Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht. Im Umgang mit einer Krebserkrankung und mit den Behandlungsfolgen geht es deshalb um die gezielte Freilegung der vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen. Sie mögen zwar vergraben sein unter den negativen Gefühlen und den traumatischen Erfahrungen durch die Diagnose und deren Folgen, aber es gibt sie noch! Poetischer ausgedrückt von dem französischen Schriftsteller Albert Camus: „Mitten im Winter habe ich erfahren, dass es in mir einen unbesiegbaren Sommer gibt.“

Im Gegensatz zu den resilienten Menschen machen die Nicht-Widerstandsfähigen aus Sicht des Kinder- und Jugendpsychologen Georg Kormann zwei grundlegende Fehler: „Sie klagen über ihr schweres Schicksal – wodurch die ganze Angelegenheit nur noch schlimmer wird. Und sie befördern die Krise, indem sie die ganze Aufmerksamkeit dem Problem und seiner Entstehung widmen, aber über die Frage, wie es gelöst werden könnte, nicht genügend nachdenken.“

Zehn Wege zum Aufbau von Resilienz

In meiner täglichen Arbeit mit Krebspatienten in der Reha bin ich allerdings immer wieder überrascht, wie wenig diese beiden Fehler auftreten und über welche Fähigkeiten Menschen verfügen, mit ihrem Schicksal umzugehen, wie viele Wege es gibt, auch mit einem schlechten Blatt ein gutes Spiel zu spielen. Viele Betroffene machen aus sich heraus einige der Schritte schon selbst, die die amerikanische Organisation der Psychologen empfiehlt, um Resilienz zu entwickeln und aufzubauen:

  • Soziale Beziehungen pflegen
  • Krisen nicht als unüberwindbar ansehen
  • Veränderungen als Teil des Lebens akzeptieren
  • Eigene Ziele anstreben
  • Aktiv werden Belastungen als Gelegenheit zum Wachstum ansehen
  • Ein positives Selbstbild pflegen
  • Eine breitere Perspektive behalten
  • Optimistisch und hoffnungsvoll bleiben
  • Für sich sorgen

(Quelle: APA (American Psychological Association 2009)

In Deutschland finden sich wertvolle Hinweise zum Thema Resilienz bei der Psychoonkologin Christa Diegelmann, Kraft in der Krise: Ressourcen gegen die Angst (Fachratgeber Klett-Cotta, Taschenbuch, 2015), sowie ein lesenswertes Buch der Fachjournalistin Christina Berndt, Resilienz. Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft (dtv, 2015).

Mehr Informationen über die Leistungen im AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg oder telefonisch 04541 13 38 00.