Das Selbstwertgefühl von Frauen hängt oft gefährlich dicht an der Zufriedenheit mit dem eigenen Aussehen. Wie nimmt frau sich selbst wahr, wenn der Krebs und seine Behandlungsfolgen ihren Körper verändert, ja oft „verstümmelt“ haben. Was die Fotoausstellung „Veränderungen“ für Rehabilitandinnen im AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg bedeutet hat und bis heute bewirkt, beschreibt Diplompsychologin Angelika von Aufseß.

Schon immer sind Frauen gut darin, ihren Wert mit ihrem Aussehen zu verknüpfen und sich bei vorgeblichen Schönheitsfehlern abzuwerten: Der Hintern ist zu dick, der Busen zu klein, die Nase zu lang, das Haar zu dünn, die Beine sind zu kurz.

Der eigene Selbstwert hängt gefährlich dicht an der Zufriedenheit mit dem eigenen Aussehen. Ein bad hair day verhagelt die Laune, die Speckrolle kratzt am Selbstbewusstsein. Das innere Bild von Weiblichkeit und Schönheit ist selten ein stabiles Bild. Es hängt schief, verschwimmt oder bekommt Risse. Was aber passiert, wenn nicht nur die überflüssigen Pfunde, die Alterung oder individuelle Schönheitsfehler den Selbstwert bedrohen? Was passiert, wenn auf einmal ein Tumor und die Folgen seiner Behandlung die eigene Körperwahrnehmung zutiefst erschüttern?

Krebs verändert das Selbstbild

In der Arbeit mit Patientinnen, die im Anschluss an die Krebsbehandlung zu uns in die Rehabilitation kommen, begegnen wir ihren leidvollen Erfahrungen. Zwar geht es zunächst um Themen wie den Schock der Diagnose, um die Angst vor einem Rezidiv, um Schwäche, Schmerzen, um die Veränderungen in den Beziehungen oder im Job. Im Lauf des Aufenthaltes tauchen zunehmend Fragen auf, die sich um das veränderte Selbstbild ranken. Die Frage nach der eigenen Identität stellt sich neu: „Wer bin ich eigentlich noch? Fühle ich mich überhaupt noch weiblich?“ Rehabilitandinnen berichten von dem Moment, als ihnen das Haar abrasiert wurde, als sie nach der OP die Lücke fühlten, wo vor der OP ihre Brust saß, sie berichten von den Narben, von hormonbedingter Gewichtszunahme oder chemotherapeutisch bedingter Abnahme, von Schwellungen, Rötungen, vom missglückten Aufbau der Brust, von dem Gefühl, sich im eigenen Körper wie eine Fremde zu fühlen. Die von ihnen so erlebte „Verstümmelung“ ist ein Frontalangriff auf den Selbstwert als Frau. Was bin ich wert ohne Haare? Was bin ich wert mit der hässlichen Narbe? Was bin ich wert mit einem deformierten Busen? Sie mögen sich nicht im Spiegel ansehen oder sich ihrem Partner zeigen, geschweige denn sich in der Sauna oder am Strand den Blicken Fremder aussetzen. Während der Rehabilitation spricht manche Frau zum ersten Mal seit der Behandlung über ihre Gefühle und über ihr Selbstwertgefühl als Frau.

Eine Fotoausstellung verändert die Wahrnehmung

Im AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg hatten wir im Jahr 2016 das Glück, die Fotoausstellung „Veränderung. Verletzte Weiblichkeit im Wandel“ über mehrere Wochen zeigen zu können und darüber mit den Patientinnen (ganz selten auch mit männlichen Patienten) ins Gespräch zu kommen. Seitdem haben wir das Glück, einige der Fotos als Leihgabe in den Fluren präsentieren und mit den Katalogen auch in den Frauengruppen oder im Einzelgespräch arbeiten zu können.

Was lösen diese Fotos und Geschichten bei den Patientinnen aus? Frau A. nimmt sich den Katalog mit aufs Zimmer und berichtet: „Ich habe mir nur wenige Fotos und Geschichten ansehen können. Immer wieder habe ich das Buch weggelegt.“ Sie hat die Konfrontation gewagt und stellte dann erleichtert fest: „Jetzt bin ich aber froh, dass ich nicht gekniffen habe. Mich haben die Fotos und Berichte der Frauen im Katalog sehr berührt.“

Die Fotos bewirken Hinsehen statt Wegsehen, Hinspüren statt Verdrängen. Gefühle von Verlust, Scham, Traurigkeit wagen sich ans Licht. Aushalten, Zulassen, Akzeptieren von Veränderung. Heilsames Erschrecken. Hier vollzieht sich ein Prozess der Krankheitsbewältigung, ohne den psychische Stabilisierung nicht zu haben ist.

Mehr Informationen

  • über das Projekt „Veränderungen. Verletzte Weiblichkeit im Wandel“: www.veraenderung.net
  • über eine onkologische Rehabilitation im AMEOS Reha Klinikum Ratzeburg