25.100 Menschen starben während der aussergewöhnlich starken Grippewelle 2017/2018 an den Folgen einer Influenza-Erkrankung. Menschen mit Grunderkrankungen und Personen höheren Alters haben neben Übergewichtigen und Schwangeren, wie bei Covid-19, ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf der Krankheit. Bei Covid-19 warten wir noch darauf, für die Grippe gibt es bereits eine Schutzimpfung. Die Zahl derer, die sich impfen lassen, war in den letzten Jahren jedoch niedrig.

Wir sprachen mit Dr. Michael Glas, dem Ärztlichen Leiter Infektiologie und Hygienemanagement der AMEOS Gruppe, über die Grippeschutzimpfung.

Was denken Sie, warum lassen sich relativ wenige Personen gegen die Grippe impfen?

Dr. Glas: Ich vermute, dass nach wie vor die Grippe als schwere Krankheit unterschätzt wird. Häufig wird womöglich kein grosser Unterschied zwischen einer Erkältung und einer „echten“ Grippe gemacht. Eine Influenza zeichnet sich jedoch durch einen plötzlichen Krankheitsbeginn aus, mit meist hohem Fieber, einem trockenen Reizhusten ohne wesentlichen Auswurf. Sie geht in der Regel mit ausgeprägten Allgemeinsymptomen einher: Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen. Komplikationen, wie Lungen- oder Herzmuskelentzündungen sind deutlich häufiger als bei einer Erkältung. Grippeviren sind zudem sehr ansteckend.

Welche Personen sollten sich gegen die Grippe impfen lassen?

Dr. Glas: Personen ab 65 Jahren, Schwangere und Personen mit Herz- oder Lungenerkrankungen, Stoffwechselstörungen oder anderen chronischen Erkrankungen, die Auswirkungen auf die Funktion von Herz, Lunge oder Nieren haben. Zudem diejenigen, die mit den eben genannten Personen regelmässig Kontakt haben sowie insbesondere medizinisches und pflegerisches Personal, Lehrkräfte und Erzieher*innen.

Sollten sich auf Grund der Coronapandemie auch alle anderen impfen lassen?

Dr. Glas: Wer das Risiko, an einer Grippe zu erkranken, so gering wie möglich halten möchte, sollte sich impfen lassen. Grippeviren sind hochansteckend. Wir stehen täglich in Kontakt mit vielen Menschen – ob auf dem Weg zur Arbeit in den öffentlichen Verkehrsmitteln, bei der Familienfeier oder im ärztlichen Wartezimmer. Gelegenheiten zur Ansteckung und Verbreitung von Grippeviren gibt es viele.

Wirkt der Impfstoff gut und gibt es Nebenwirkungen?

Dr. Glas: Eine Impfung wirkt nicht zu 100 Prozent. Die Wirksamkeit schwankt von Saison zu Saison relativ stark und liegt je nach Übereinstimmung der Impfstämme mit den zirkulierenden Stämmen zwischen 40 und 60 Prozent. In der älteren Bevölkerung ist die Schutzrate vor Erkrankung durchschnittlich geringer als in jüngeren Altersgruppen. Da sich Influenzaviren kontinuierlich durch das Phänomen des Antigen-Drifts verändern und zudem von Jahr zu Jahr unterschiedliche Stämme zirkulieren, wird auch der Impfstoff jedes Jahr angepasst. Die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen ist insgesamt gering. Bei den meisten Personen bleibt es bei einer Rötung oder leichten Schmerzen an der Injektionsstelle 1-2 Tage nach der Impfung.

Wird die diesjährige Grippewelle nicht ohnehin gehemmt durch die erweiterten Hygienemassnahmen infolge der Coronapandemie?

Dr. Glas: Das wissen wir heute noch nicht. In den letzten Monaten wurden wir alle sensibilisiert, die zwischenmenschlichen Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren. Der Wunsch nach Normalität nimmt zu und lässt den ein oder anderen die Hygienemassnahmen vernachlässigen. Würden wir alle gewissenhaft die AHA-Regeln – also Abstand, Hygiene und Alltagsmaske – beachten, könnten wir wahrscheinlich mit einer milden Grippesaison rechnen.

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Dr. Michael Glas ist Leiter Infektiologie und Hygienemanagement der AMEOS Gruppe. Im Rahmen seiner Tätigkeit für die KH Labor ist er unter anderem zuständig für die Optimierung der Antibiotika-Anwendung. Die KH Labor versorgt jährlich über 80.000 stationäre und über 300.000 ambulante Patient*innen. 

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Text: Dagmar Wawrzyczek