Katrin Weinhold arbeitet seit über 20 Jahren in der IT im Gesundheitswesen. Wir haben mit ihr über Gleichberechtigung von Mann und Frau, Frauen in Führungspositionen und Aufteilung der Care Arbeit gesprochen.

 

Sie arbeiten als Führungskraft in der IT – wie oft begegnet Ihnen das Phänomen „Mansplaining“?

Nach über zwanzig Jahren im Beruf passiert mir das glücklicherweise nicht mehr. Mir begegnen Männer auf Augenhöhe. Früher war das tatsächlich anders. Ich erinnere mich an IT Messen, bei denen ich als Führungskraft von Vertretern manchmal stehengelassen wurde, da sie nur mit meinen Mitarbeitern sprechen wollten. Auch heute kann man auf solchen Messen noch beobachten, wie junge Frauen lediglich zum Kaffee holen mitgenommen werden. Im Berufsalltag sieht man auch, wie Frauen dazu neigen, sich selbst klein zu machen, wenn Männer sich vor Ihnen „breit“ machen. Ich wünschte, das bliebe ihnen erspart. Denn Tatsache ist: wenn ein Mann vor einer Frau steht, steht er ihr manchmal auch einfach im Weg.

 

Sehen Sie es als Ihre Aufgabe an, junge Frauen darin zu bestärken, sich „breit“ zu machen?

Ich denke schon, dass viele junge Frauen da noch etwas mehr gecoacht werden müssen, als ihre männlichen Kollegen. Das hängt oftmals mit der Erziehung zusammen. Frauen werden schliesslich – genauso wie Männer – in ihre Rollen hinein erzogen.

Wenn ich sehe, wie junge Frauen versuchen durch eine bestimmte Körpersprache an ihr Ziel zu kommen – mit einem Wimpernklimpern, wie man so schön sagt – dann konfrontiere ich sie gerne mit ihrem Verhalten und sage ihnen: „Das hast du gar nicht nötig!“ Viele machen das unbewusst.

 

Welche Eigenschaften sollte man mitbringen als Führungskraft in einer „Männerdomäne“, wie der IT?

Das sind die gleichen Eigenschaften, die auch Männer mitbringen müssen. Frauen haben all diese Eigenschaften: man muss organisieren können, Mitarbeitende weiterentwickeln, motivieren können – ganz unabhängig vom Geschlecht. Ich würde auch nicht pauschal sagen, dass Frauen dies oder jenes besser können als Männer. Es gibt Personen, die können dies gut und andere, die können jenes gut.

Frauen sollten davon absehen, sich die Eigenschaften der Männer anzueignen, um voranzukommen. Sie sollten mit all ihren weiblichen Eigenarten führen. Ich habe häufig beobachtet, dass Frauen von Männern im Beruf mehr respektiert werden, wenn sie sich ihnen anpassen. Zum Beispiel einen Hosenanzug tragen, statt einem Kleid, um mal nur vom Äusseren zu sprechen. Wir sollten aber wir selbst bleiben und uns nicht verstellen. Auch das haben wir nicht nötig.

 

Erst im September 2019 gab es in den Vorständen deutscher Unternehmen erstmals mehr Frauen, als Männer, die Thomas oder Michael heissen. Das klingt nach einem guten Trend. Wie empfinden Sie die Situation – steigt der Anteil an Frauen in Führungspositionen?

Ja, gefühlsmässig steigt der Anteil tatsächlich, aber nicht signifikant. Frauen haben in Deutschland einfach nicht die gleichen Chancen wie Männer. Das liegt am „Karriereknick“, bedingt durch die Familienplanung.

Für Frauen ist es selbstverständlich, dass sie in Elternzeit gehen. Männer hingegen nehmen nur zwei bis vier Monate in Anspruch, wenn überhaupt.

Wenn Frauen dann wieder in den Beruf einsteigen, haben gleichaltrige Männer ihnen schon wertvolle Berufsjahre und –erfahrung voraus. Und sitzen vielleicht schon in Führungspositionen. Und Männer stellen bekanntlich Männer ein.

Hinzu kommt, dass ein grosser Teil der Frauen dann „nur“ in Teilzeit wieder einsteigt, um weiterhin den Familienalltag gut organisieren zu können. Männer tun das nicht – sie reduzieren vielleicht aus gesundheitlichen Gründen ihre Arbeitszeit, oder weil sie mehr Zeit für Hobbys haben möchten. Ich habe es aber noch nie erlebt, dass ein Mann der Familie wegen seine Arbeitszeit reduziert hat.

Es gibt sicherlich Frauen, die glücklich damit sind, die Kinder zu erziehen und den Haushalt zu machen. In meinen Augen bürden sie ihren Männern dafür aber auch eine ganz schöne Last auf. Ich glaube wir Frauen haben uns in den letzten Jahrzehnten viel erarbeitet. Manchmal befürchte ich, dass wir diese Freiheiten aus Bequemlichkeit wieder abgeben.

 

Welche Hauptgründe sehen Sie für die geringe Anzahl an Frauen im Top-Management?

Ich denke das hängt viel mit unserer Sozialisierung zusammen. Ich habe es oftmals erlebt, dass Frauen, die sich dafür entschieden haben, ihr Kind früh in die Betreuung zu geben oder es vom Vater betreuen zu lassen, dafür angefeindet oder als Rabenmutter bezeichnet wurden.

Ich denke schlussendlich muss jede Familie auf sich schauen, wie es für sie passt. Und wenn es eine Frau glücklich macht, im Beruf voranzukommen, profitiert die Qualität der gemeinsamen Zeit mit der Familie davon. Viele Frauen brauchen das Gefühl, beruflich gefordert zu werden und auch ausserhalb der Familie zu glänzen.

Wichtig ist: jeder Frau sollte freigestellt sein die Mutterrolle zu leben oder nicht. Wir sollten unsere Entscheidung nicht davon abhängig machen müssen, ob unsere Karriere darunter leiden wird. Deshalb muss es den Frauen, die die Mutterrolle leben möchten, auch ohne Hürden möglich sein, danach wieder den Einstieg ins Berufsleben zu finden. Jeder Mensch sollte die Entscheidung treffen dürfen, die sich für ihn selbst richtig anfühlt, ohne von anderen dafür bewertet zu werden.

Wir Frauen sollten uns mehr bekräftigen in unseren Stärken. Netzwerken – das haben uns die Männer wirklich voraus. Frauen sollten viel mehr untereinander netzwerken. Nicht um Männer auszugrenzen, sondern um sich ganz offen auszutauschen. Das fällt vielen leichter in einem „geschützten Rahmen“.

 

Karriere oder Familie: muss man sich als Frau da entscheiden?

Nein, man kann beides haben – man muss aber Kompromisse eingehen. Bei unserem ersten Kind blieb ich das erste Jahr zuhause. Beim zweiten mein Mann. Wir haben uns das fair aufgeteilt, denn Kindererziehung ist durchaus auch Männersache.

 

Was muss sich aus Ihrer Sicht verändern, damit mehr Frauen der „Weg nach oben“ geebnet wird? Sind nur die „alten weissen Männer“ das Problem?

Nein, auch die Rahmenbedingungen stimmen noch nicht. Es sind zum Beispiel nicht genügend Kita-Plätze vorhanden. Oder die Kita schliesst um 16 Uhr. Das ist mit einem Vollzeitjob nicht vereinbar. Und sich dann auf die Grosseltern oder Freunde verlassen zu müssen, halte ich für eine schlechte Strategie.

Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. Job-Sharing zum Beispiel wird in Führungspositionen kaum gelebt, da fehlt es noch bei vielen an Mut.

Die Frauenquote wird viel diskutiert. Ich halte sie für nötig. Nötig, um zu zeigen, dass es funktioniert. Dass die Unternehmen nicht daran zugrunde gehen werden, wenn sie von Frauen geführt werden. Wenn sich das gut etabliert hat, kann man die Quote gerne wieder weglassen. Aber bis dahin brauchen wir sie als Türöffner.

Wir haben schon so viel erreicht. Das muss man sich mal vor Augen führen: zu meinen Lebzeiten – nämlich 1967 – ist die erste Frau, nämlich Katherine Switzer, einen Marathon gelaufen. Sie musste das heimlich tun, man versuchte sogar sie mit Gewalt von der Rennstrecke zu zerren. Es grassierten Theorien darüber, dass Frauen die Gebärmutter herausfallen würde bei übermässiger Anstrengung.

Mir fehlt manchmal die Wertschätzung dafür, was wir uns schon alles erkämpft haben – auch wenn man in andere Länder blickt. Dort gehen Leute auf die Strasse für Dinge, die für uns hier teils als Last empfunden werden: Wahlen zum Beispiel. Wir sind in einer sehr privilegierten Situation. Auch wenn wir natürlich noch einen weiten Weg vor uns haben, sollten wir nicht vergessen, das Erreichte auch wertzuschätzen.

Vielen Dank, Frau Weinhold, für dieses interessante Gespräch!

 


Text: Dagmar Wawrzyczek


Katrin Weinhold ist Direktorin der AMEOS IT Services. Sie führt rund 130 Mitarbeitende. Als zentrale Leistungseinheit der Unternehmensgruppe betreuen die AMEOS IT Services die gesamte IT-Hardware und Software in drei Ländern. Hierbei gewährleistet das Team einen effizienten und sicheren Datenaustausch an und zwischen über 50 Standorten in fast 100 Einrichtungen.