Lina hat heute die Rechenolympiade ihrer Klasse gewonnen; in der letzten Runde war sie sogar schneller im Einmaleins als Florian. Aufgeregt läuft sie nach der Schule nach Hause und freut sich schon darauf, ihrer Mama alles zu erzählen. Aber als sie die Wohnungstür aufsperrt und ihre Mutter mit Sonnenbrille am Küchenfenster stehen sieht, verwandelt sich ihre Vorfreude in einen schweren Stein, der ihr in den Magen rutscht. Wenn Mama die Sonnenbrille trägt, dann ist es wieder so ein Tag, weiss Lina. „Essen steht auf dem Tisch.“, sagt Mama leise und Lina weiss, dass es kalte Nudeln mit Ketchup gibt. Am Abend wird ihre Nachbarin Marion zu ihnen kommen und sie ins Bett bringen. Lina geht in die Küche und beginnt, in den Nudeln zu stochern.

Am nächsten Morgen ist der Stein in Linas Bauch immer noch da. Ihrer Mama sagt sie, dass sie Bauchweh hat und zuhause bleiben will. Sie müsse aber zur Schule und sie selbst zur Arbeit, entgegnet ihre Mutter. Ausserdem könne sie nicht ständig wegen ihr zuhause bleiben, ihr Chef sei sowieso schon genervt von diesen Umständen. Mama wird laut und wirft Lina die Klamotten hin. Anziehen, jetzt! Und dann Abmarsch. Lina beginnt zu weinen und Mama zieht die Sonnenbrille auf. Lina hört sie leise im Flur schluchzen, tut aber so, als hätte sie es nicht gehört.

In der Schule wandern Linas Gedanken immer wieder zu Mama. Wie kann ich sie nur aufmuntern, fragt sie sich. Seit Papa vor drei Jahren weggezogen ist, gibt es nur noch Mama und sie. Manchmal fragt sich Lina, ob sie nicht zu wenig für Mama da ist. Da steht auf einmal ihr Lehrer vor ihr und fragt sie mit verärgertem Blick, ob er sie denn in ihren Tagträumen stören dürfe. Die Klasse lacht und Lina schämt sich.

Ein paar Wochen später sitzt sie mit Mama im Zug nach Simbach am Inn. In letzter Zeit waren die Sonnenbrillentage immer mehr geworden. Marion, Oma, Linas Lehrer und sogar die Schulpsychologin hatten mit Mama geredet, bis die zum Arzt gegangen war. Jetzt sind sie auf dem Weg ins AMEOS Klinikum Inntal, wo es eine ganze Station nur für Eltern mit ihren Kindern gibt.

Am Tag nach der Anreise werden Lina und Mama in einen hellen Raum voller Spiele gebracht. Sie sollen zusammen ein Puzzle machen und ein Therapeut filmt sie dabei. Lina will ihrer Mama zeigen, wie gut sie im Puzzeln ist und legt los. Doch das Puzzle hat zu viele Teile, die gar nicht zusammenpassen. Lina ist verwirrt davon und fragt Mama, was sie jetzt machen sollen. Die kaut auf ihrer Lippe, guckt immer wieder zur Kamera und sucht ihre Sonnenbrille in ihrer Tasche. Lina will ihr helfen, wirft dabei aus Versehen die Tasche runter und der ganze Inhalt ergiesst sich auf dem Boden. Mama beginnt heftig zu weinen. Während sich der Therapeut um Mama kümmert, kommt eine nette Frau von der Station zu Lina, nimmt sie an die Hand und geht mit ihr eine Runde im Garten spazieren. Sie gucken die Fische im Teich an und beobachten die Sportgruppe, die auf dem Rasen gerade Aufwärmübungen machen. Ich will nicht, dass Mama immer so traurig ist wegen mir, sagt Lina leise.

In den nächsten Wochen leben sich Lina und Mama in den Klinikalltag ein. Mama hat viele Gesprächstermine alleine, macht aber auch viele Dinge mit Lina zusammen. Sie gehen klettern, schwimmen und basteln zum ersten Mal, seit Papa weg ist, miteinander. Lina darf einmal die Woche sogar mit dem netten Chefarzt Dr. Moritz Kuscha sprechen. Er fragt sie immer, wie es ihr geht und was sie so mit der Mama unternommen hat. Einmal traut sich Lina und fragt ihn, warum Mama und sie sich nicht einfach wieder wie früher lieb haben können. „Weisst du, da ist ein grosser Berg zwischen euch beiden. Deine Mama hat dich genauso lieb wie früher, aber der Berg versperrt ihr die Sicht. Deshalb müssen wir den kleiner machen.“

Genau das tun die beiden. Und die ganze Station hilft ihnen dabei. Von Tag zu Tag geht es Mama besser. Sie verbringen wieder viel mehr Zeit miteinander und Lina erzählt ihr endlich von ihrem Sieg in der Rechenolympiade. Mama drückt sie fest und gibt ihr einen Kuss. Ich bin stolz auf dich, strahlt sie und Linas Herz hüpft.

Nach acht Wochen im AMEOS Klinikum Inntal packen die beiden ihre Koffer. Zum Abschied haben sie Dr. Kuscha eine Karte gebastelt. Am Tag ihrer Abreise scheint die Sonne. Mama holt ihre Sonnenbrille aus der Tasche, setzt sie auf und strahlt Lina an.


Text: Katharina Auberger


Wir sind für Sie und Ihre Kinder da!

Als eine der wenigen akutpsychosomatischen Kliniken in Deutschland bietet Ihnen das AMEOS Klinikum Inntal die Möglichkeit einer stationären Behandlung von Eltern und Kindern gleichermassen. Wir praktizieren psychosomatische stationäre Eltern-Kind-Therapie, wobei sowohl die Eltern als auch die Kinder je nach Indikation als Patienten wie auch als Begleitpersonen aufgenommen werden können. Die Dauer der Behandlung richtet sich nach der Schwere der Erkrankung und dauert in der Regel zwischen 4 und 10 Wochen.

Unser Patientenmanagement steht für Ihre Fragen gerne zur Verfügung: Tel. +49 (0)8571 985-115 oder info@inntal.ameos.de