Zwangsstörungen sind hartnäckig, sinnlos, komplex, manchmal skurril und in vielerlei Hinsicht stark belastend, dennoch werden sie von Laien oft nicht ernst genug genommen. Sie lassen sich erstaunlich gut verheimlichen, während sie gleichzeitig massive negative Auswirkungen auf das tägliche Leben der Betroffenen haben. Wie man trotz Zwangsstörungen den Alltag meistern kann, weiß Dr. med. Ulrich Förstner, Oberarzt und Leiter des Behandlungsschwerpunktes Zwangserkrankungen in den AMEOS Klinika in Bad Aussee.
An welchen Symptomen erkennt man eine Zwangsstörung?
Wir unterscheiden Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, wobei bei einer Zwangsstörung in der Regel beides auftritt. Zwangsgedanken drängen sich immer wieder auf, obwohl sie von den Betroffenen selbst als unsinnig, übertrieben oder sogar als furchterregend oder „abartig“ angesehen werden. Sie lösen Anspannung, Unwohlsein, Angst oder Ekel aus. Die Betroffenen versuchen, diese Gedanken wegzuschieben, was nur selten gelingt. Zwangshandlungen helfen hingegen häufig, diese unangenehmen Gedanken und Gefühle zu verringern. So fühlen sich beispielsweise Menschen mit Kontrollzwängen, die unter der Angst leiden, durch Unachtsamkeit ein fatales Unglück auszulösen, immer wieder zu Kontrollritualen gezwungen.
Auch ich bin schon mal zurückgegangen, um zu kontrollieren ob der Herd aus oder das Auto verschlossen ist …
Die meisten Menschen haben im Alltag Rituale, Gewohnheiten oder sogar zwangsähnliche Verhaltensweisen. Auch wenn die Übergänge gelegentlich fließend sind, lässt sich eine Zwangsstörung meist eindeutig davon abgrenzen. Menschen mit Zwangsstörungen leiden unter ihrer Zwangssymptomatik. Die Zwänge sind zeitaufwendig und beeinträchtigen die Betroffenen ernsthaft im Alltag, Beruf oder in Familie und Freundeskreis.
Welche Arten von Zwangsstörungen gibt es?
Schätzungen zufolge leben in Deutschland mehr als 1,2 Millionen Menschen mit einer klinisch relevanten Zwangsstörung. Am häufigsten sind Kontroll- sowie Wasch- und Reinigungszwänge, aber auch unter Ordnungs- und Symmetriezwängen leiden viele Betroffene. Zwangsgedanken kreisen häufig um Vorstellungen, sich durch Keime oder Umweltgifte zu gefährden, fahrlässig ein Unglück zu verursachen, aber auch dass man andere Personen verletzen oder sogar töten könnte, obwohl man das ganz schrecklich fände. Außerdem gibt es gewisse Zwangshandlungen, die als Zähl-, Wiederholungs- oder Betzwänge auch in gedanklicher Form durchgeführt werden können.
Wie lässt sich die Familie bzw. das Umfeld einbinden, um den Betroffenen zu helfen?
Die ersten Hinweise für eine mögliche Zwangsstörung kommen oft aus dem persönlichen Umfeld oder der Familie. Da sich viele Menschen wegen ihrer Störung schämen, sollten die Auffälligkeiten nicht konfrontativ oder vorwurfsvoll, sondern mitfühlend und unterstützend angesprochen werden. Angehörige können den Betroffenen Hoffnung machen und sie motivieren, professionelle Hilfe anzunehmen, denn Zwangsstörungen sind gut behandelbar. Häufig sind Familienmitglieder in die Zwänge eingebunden, da sie sich gezwungen fühlen, z.B. Reinlichkeitsrituale mit durchzuführen, den Betroffenen Kontrollen abzunehmen oder ihnen ständig zu versichern, dass alles in Ordnung ist. Dies führt zwar kurzfristig zur Reduktion des Leidensdruckes bei den Betroffenen, langfristig jedoch zu einer Verstärkung der Hilflosigkeit und des Zwangsverhaltens. Diese Form der vermeintlichen Unterstützung sollte deshalb auch in der professionellen Behandlung thematisiert werden.
Veranstaltungshinweis: Sprechen wir über Zwänge - Publikumsevent in Kooperation von AMEOS Privatklinikum Bad Aussee und Kurier
Im Rahmen eines Podiumsgesprächs werden Ursachen, Auswirkungen und Therapiemöglichkeiten mit dem Experten und Betroffenen erörtert. Seien Sie dabei, erfahren Sie mehr und diskutieren Sie mit!
Zeit: Dienstag, 3. Juni 2025, 18:30 Uhr
Ort: KURIER Medienlounge, Leopold-Ungar-Platz 1, 1190 Wien
Die Teilnahme ist kostenlos, Anmeldung erforderlich unter: kurier-events.at/zwaenge