Gross und beeindruckend war das Interesse der Besucher*innen an der ersten digital präsentierten AMEOS Kunstpreis Ausstellung 2021, die bereits zum sechsten Mal im Hans-Ralfs-Haus für Kunst und Kultur in Neustadt stattfand.

Mit grosser Spannung wurde dem Urteil der hochkarätig besetzten Jury entgegengefiebert.

Diese hatte sich bereits im März unter Corona Bedingungen mit Maske und Abstand zusammengefunden und die insgesamt 64 Werke für die Ausstellung ausgewählten Werke von künstlerisch tätigen Patient*innen und Bewohner*innen aus 11 AMEOS Einrichtungen in ganz Deutschland gesichtet.

Insgesamt waren die renommierten Juroren Martina Feldmann, Barbara Leonhard, Saskia De Kleijn, Peter Fischer und Elmar Gehlen beeindruckt vom Gesamtniveau der Ausstellung sowie der ernsthaften und ausdruckstarken Umsetzung des diesjährigen Themas  „Ich bin einzigartig – genau wie Du!“, dem handwerklichen Können und der Originalität der Werke. Zwei Stunden lang wurde trotz Distanz leidenschaftlich diskutiert, abgewogen, argumentiert und am Ende wie folgt entschieden:

1.Platz: „Augen – Blick – Ich“ von Nele Lompe aus dem AMEOS Klinikum Osnabrück

Begründung der Jury: „Das Gesicht zeigt 8 Augen und drei Ohren und ist umgeben von sich schlängelnden, krausen Haaren. Der Kopf sitzt auf schmalen Schultern, die Haare umgeben ihn in voluminösem Ausmass. Es ist eine filigrane, spielerische Komposition, die ausschliesslich mit Kugelschreiber gezeichnet ist und mit einem akribischen und sicheren Strich aufs Blatt gebracht wurde. Die Künstlerin ist gewissermassen mit dem Strich spazieren gegangen und hat mit dieser Technik den grösstmöglichen Ausdruck gefunden. Der Kopf mit den vielen Augen spiegelt sowohl die Einzigartigkeit als auch die Vielfältigkeit eines Menschen wider. Das Bild beinhaltet einen Spannungsbogen zwischen Suchen und Finden. Die Darstellung weist widersprüchliche Charaktereigenschaften wie Stärke, Schwäche oder Unsicherheit auf. Das Gesicht zeigt geradezu eine sympathische Schüchternheit. Neben dem Heroischen und Kraftvollem, das man braucht, um zu überleben, ist hier jemand, der sich den Anforderungen stellt, ganz ohne Aggressivität. Hier wird jemand schwach und gleichzeitig stark dargestellt. Dieser Mensch traut sich, so zu sein wie er bzw. sie ist. Der Bildtitel verdeutlicht, auch in seiner Schreibweise, genau das Dargestellte: Augen – Blick –Ich: In jedem Augenblick, egal wie es mir geht und wie ich drauf bin, bin ich ICH: Vielfältig und Einzigartig! Ein sehr gut gemachtes, facettenreiches Werk in einer außergewöhnlichen Technik!“

 

2. Platz: „Das Theodizee-Problem“ von Marko K. aus dem AMEOS Klinikum für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Ueckermünde

Begründung der Jury: „Dargestellt sind Kopf- und Schulterbereich einer vermutlich weiblichen Figur in Seitenansicht. Die Figur trägt eine blaue Kappe auf dem Kopf, Schulter und Hals umgibt eine Art starres Gerüst oder Gitter, feinere Linien umfassen die hintere Kopfhälfte. Von den Augen aus verlaufen zwei gerade hellblaue Strahlen in die obere rechte Bildhälfte. Vom Hinterkopf aus verlaufen einige sich schlängelnde feine Linien diagonal dazu in die linke untere Bildhälfte. Die Komposition des Bildes mit der Platzierung der Figur in der Mitte und den diagonal verlaufenden Linien besitzt eine große Dynamik und nimmt uns gleich für sich ein. Das mit Wachsstiften gemalte Bild ist technisch gut gemacht und weist eine sehr genaue und gut gewählte Farbkomposition mit grafischen Elementen und sehr feinen Nuancen auf. Auf der linken Bildseite – im Rücken der Figur – befinden sich eher dunkle Farben und unsichere Striche. Auf der rechten Bildseite – vor der Figur – hellere Farben, an einen Sonnenaufgang erinnernde Farbverläufe, sowie die starren, hellblauen Strahlen, die eine feste Verbindung von den Augen nach oben in die obere Bildhälfte herstellen. In Verbindung mit dem Titel bekommt das Bild einen gewissen Ausdruck von Religiosität: Die Person geht trotz der sie umgebenden leidvollen Welt, im festen Glauben an einen allmächtigen Gott, mit erhobenen Haupt ihren Weg in eine vielleicht bessere Zukunft. Der fast naiv kindlich anmutende Malstil, steht in faszinierender Weise im starken Kontrast zur hoch philosophischen Aussage des Bildes!“

3. Platz: „Entdecke mich“ von Hedwig Pohlgeers aus dem AMEOS Klinikum Osnabrück

Begründung der Jury: „Zu sehen ist ein sehr malerisches Bild auf Presspappe mit einer deutlichen Trennlinie im unteren Drittel. Direkt entlang der Trennlinie ballen sich dunkelviolette Farbtupfer, darüber und darunter zeigen sich Farbverläufe nach oben und unten, jeweils von gelb-orange hin zu hell- und dunkelblau. Der Farbauftrag besteht aus vielen lasierten Schichten. Das Bild ist kompositorisch sehr gut aufgebaut und gut durchdacht. Die Flächen oberhalb und unterhalb der Trennlinie scheinen sich zu spiegeln. Dadurch wird die vermeintliche Trennlinie zur Horizontlinie, darüber der vom Abendrot angestrahlte Himmel, darunter das Wasser, in dem sich der Himmel spiegelt. Doch bei genauerer Betrachtung erkennt man deutliche Abweichungen. Nichts in diesem Bild ist genau zu erkennen und greifbar. Alles ist nur angedeutet. So ist auch die Spiegelung keine exakte Spiegelung. Die scheinbare Landschaft wirkt geheimnisvoll und lädt zum Suchen ein. Dabei lässt sie offen, ob man sich in ihr verliert oder findet. An der Horizontlinie scheint sich in den geballten violetten Farbflächen etwas zu verbergen, so dass der Betrachtende genau hingucken muss, um es zu entdecken. Tut er das aber, so ist er in der Lage, vielleicht die Einzigartigkeit in der Masse zu erkennen. Dieses Bild hat eine deutliche Botschaft. Es fordert uns bereits durch seinen Titel "Entdecke mich" auf, genau hinzusehen und sich auf die Suche zu begeben, um die Einzigartigkeit, das Besondere, eines Jeden in der Masse zu finden. Es gibt diese Einzigartigkeit, auch wenn man sie nicht immer gleich erkennen kann. Denn weil sie vielfältig ist und nicht immer perfekt. Selbst der Malgrund, die Presspappe, scheint brüchig und ist an den Ecken und Rändern beschädigt. Nichts ist perfekt – alles ist einzigartig. Ein spannendes Bild mit großer Aussagekraft, die sich sowohl inhaltlich als auch malerisch zeigt.“

Auch die zahlreichen Besucher*innen konnten entweder per Klick im Internet oder vor Ort mit Hilfe eines Stimmzettels ihren Favoriten wählen und den Publikums-Liebling 2021 bestimmen. Mit knappem Vorsprung gewann erstmalig in der Geschichte des AMEOS Kunstpreises das von der Jury ebenfalls prämierte Werk „Augen – Blick – Ich“ von Nele Lompe aus dem AMEOS Klinikum Osnabrück, dicht gefolgt von „Höre in meine innere Welt“ von Maike Rittmeier aus dem AMEOS Klinikum Preetz.

Im Anschluss gehen 50 ausgewählte Werke im Rahmen einer Wanderausstellung auf Reisen und machen im Juli Station in Lübeck. Im November sind sie dann in Schleswig zu sehen.

Wer die Gelegenheit hat sich die Originale vor Ort anzusehen, sollte sie nutzen. Es lohnt sich!

Mehr Informationen, ein digitaler Ausstellungsrundgang sowie den Film zur Preisverleihung finden Sie unter www.ameos.eu/kunstpreis2021