Nelli F. hat viel durchgemacht in ihrem Leben. Geschenkt wurde der Endfünfzigerin nichts. Jetzt hat sie Krebs. Und in der Rehabilitation lernt sie, wie man einen Weg aus dem Dunklen findet. Ihre Geschichte erzählt die Diplompsychologin Angelika von Aufseß.
Allein mit ihren Kindern siedelte sie vor vielen Jahren nach Deutschland über. Mann weg, Heimat weg, Sprache weg, die Ausbildung gilt nichts. Sie schlägt sich durch, immer auf sich allein gestellt, beseelt von der Vorstellung, dass man sich auf niemanden als auf sich selbst verlassen sollte.
Dann kommt der Krebs, und mit dem Krebs kommt die Angst. Es kommt die Ahnung, dass es nicht gut ist, wenn der Mensch allein ist. Doch da ist niemand, dem sie sich öffnen oder mitteilen kann. Sie will sich niemandem aufdrängen. Die Töchter führen inzwischen ihr eigenes Leben, sie sind überfordert von Mutters Krankheit. Zwar machen sie sich Sorgen, wagen aber nicht, ihre Gefühle zu zeigen. So vermeiden sie den Kontakt, was Nelli nicht begreift.
Auch ihre Arbeitsstelle ist gefährdet, zu lange dauert die Zeit der Rekonvaleszenz. Wen wundert es, dass ihr Blick bei der Frage nach dem, was in ihrem Leben trotz Krebs gut, heil, nährend ist, ins Leere fällt. „Nichts ist gut, nichts war gut“, lautet die niederschmetternde Antwort.
Nelli F. ist nicht allein und lernt Erstaunliches
Während der Rehabilitation jedoch macht Nelli die erstaunliche Erfahrung, dass auch andere ihre Pakete zu tragen haben, dass sie gar nicht so allein ist mit ihrer Not. Auch die anderen tragen ihr Los. Mal mit Würde, mal mit Wut, mal mit Witz, mal gerade so eben. Es tut Nelli gut, zu reden, zuzuhören und von den Therapeuten angespornt und zum Weitermachen ermutigt zu werden. Sie spürt mehr, als dass sie es benennen kann: Es gibt umso mehr Gutes, je aufmerksamer man sich dem zuwendet, was einem Gutes widerfährt. Sie hatte vergessen, dass es selbst in ihren finsteren Zeiten Lichtblicke gegeben hatte. Und sie lernt in der Reha, wie wichtig es für die Gesundung ist, den Blick auf das Licht und nicht nur den Schatten zu richten.
Aber wie macht man das? Kann man das üben? Kann man es trainieren wie müde, erschöpfte Muskeln? Mit Disziplin und täglichem Übungsprogramm? So lange, bis der Blick wie von selbst auf die Glücksmomente fällt, statt automatisch am Schatten kleben zu bleiben?
Positives erkennen? Wie soll das gehen?
Man kann es tatsächlich üben! Mit einem kleinen feinen Ritual, dem Glückstagebuch oder Glückskalender. Eine Übung von nur wenigen Minuten. Ausgeführt so regelmäßig wie das Zähneputzen am Abend. Jeden Abend werden zehn Dinge aufgeschrieben (Anfänger beginnen mit fünf), die gut waren, die Freude bereitet, Licht ins Dunkle gebracht, ja, irgendwie gut getan haben. Große Dinge, kleine Dinge, wichtige, unwichtige, einmalige, wiederkehrende. Etwas, das von außen kommt, wie Sonne, wie Frühling oder ein unerwarteter Anruf, ein freundlicher Blick, und genauso die Dinge, die von innen kommen: selbstgemachte Augenblicke des kleinen Glücks. Licht statt Schatten. Jeden Abend vor dem Einschlafen.
Leichte Übung, kleines Ritual, kurze Liste
Zum Abschied bekommt Nelli F. ein Buch ausgehändigt - mit vielen leeren Seiten, die gefüllt werden möchten. Jetzt wird die Übung konkret und anfassbar. Ja, das kann sie sich vorstellen. So ein schönes Buch! Genug Platz für jeden Tag, um zehn Sachen aufzuschreiben. Gleich heute fängt sie an. Ihre Augen leuchten, der Blick ist klar und entschlossen. Das Training hat begonnen.
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