Zwangsmaßnahmen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind ein explosives Thema. Leider kommt es gerade in den beschützenden Bereichen psychiatrischer Kliniken immer wieder zu Situationen, die es erforderlich machen, dass zum Schutz der Patient*innen, Mitpatient*innen und Mitarbeitenden Zwangsmaßnahmen eingesetzt werden. Diese Zwangsmaßnahmen, beispielsweise Isolierung oder auch Fixierung, haben ausschließlich die Funktion, die Sicherheit von Patient*innen und der Mitarbeitenden zu gewährleisten. Es handelt sich um Vollzugsakte, die gemeldet werden müssen und höchstrichterlich genehmigungspflichtig sind.

Für Patient*innen und Mitarbeitende in Kliniken sind Zwangsmaßnahmen außerordentlich belastend und stellen auch eine nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle dar. Denn sie bedingen neue Konflikte, die einem förderlichen Therapie- und Entwicklungsprozess des Patienten auch entgegenstehen können.

In der Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie im AMEOS Klinikum Hildesheim legen wir sehr viel Wert darauf, Zwangsmaßnahmen zu vermeiden. Bereits in den letzten beiden Jahren konnten wir eine Reduktion eingesetzter Zwangsmaßnahmen von mehr als 90 Prozent verzeichnen. Ein wesentlicher Faktor war dabei die Orientierung am Safewards Modell, das in den letzten Jahren bereits in einigen Psychiatrischen Kliniken in der Bundesrepublik etabliert wurde.

Bei Safewards handelt es sich um strukturierte Milieuveränderungen des stationären Behandlungssettings. Zentrales Element beim Safewards-Modell ist die professionelle Beziehungsgestaltung und die selektiv authentische Begegnung im Kontakt. Die therapeutische Beziehung ist im Safewards-Modell mit zehn Merkmalen beschrieben, beispielsweise Klärung gegenseitiger Erwartungen, verständnisvolle Kommunikation, deeskalierende und positive Gesprächsführung, Methoden zur Beruhigung, Unterstützung bei unerfreulichen Nachrichten, gegenseitiges Kennenlernen, gegenseitiges Unterstützen und Sicherheit geben.

Im Sommer 2021 erfolgte eine Projektausschreibung des Sozialministeriums Niedersachsens zum Thema „Grundrechtseinschränkungen mindern“. Der Projektantrag der Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Hildesheim zu diesem Thema wurde erfolgreich beschieden und bekam den Zuschlag. Und es wurden kürzlich erste Mitarbeitende in den Intensivbereichen der Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie teamspezifisch geschult.

Das Projekt ist auf zwölf Monate festgesetzt. Im Januar nächsten Jahres werden die Evaluationsergebnisse dem Ministerium vorgestellt. Bis dahin soll das Safewards-Modell im beschützenden Intensivbereich der Klinik fest integriert sein. Zur Qualitätssicherung werden Anzahl und Dauer eingesetzter Zwangsmaßnahmen nachgehalten, zusätzlich werden Teamklima und Patientenzufriedenheit für weitere 48 Monate evaluiert.

„Wir freuen uns sehr über die Genehmigung der Fördermittel, was uns in unserer Haltung bestätigt und dazu beiträgt, dass der eingeschlagene Weg so erfolgreich wie bisher fortgesetzt werden kann“, erklärt Dr. med. Eva-Maria Franck, Chefärztin der Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie ärztliche Leitung des Zentrums Intensiv- und Strukturtherapie. „Durch Schulungen und teamspezifische Supervisionen können wir sicher weiterhin Zwangsmaßnahmen verhindern und reduzieren sowie die therapeutische Beziehung stärken“, so Franck weiter.